zurückgebeugte räume
Wettbewerb, Kunst im Stadtraum Hansaplatz, Berlin, 2018
Der Vorschlag nimmt Bezug auf die gemeinsamen Antragstellung von Hansaviertel / Interbau 1957 und dem 1. und 2. Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee für die deutsche Vorschlagliste des UNESCO-Welterbes durch das Land Berlin. Dieses städtebauliche Doppel ist Zeugnis einer Verflechtungsgeschichte, an der sich Ost und West aneinander abarbeiteten. Eine komplizierte Konfrontation zweier Welten in einer Stadt: Legere Vielfalt, Freiheit, Funktionstrennung, Autogerechtigkeit und Anschluss an die internationale Moderne im Westen. Sozialistischer Aufbau einer neuen Gesellschaft, Monumentalität und Uniformität im Osten. Beide Großprojekte wurden von Ost wie von West als Bühne für separate Referenzsysteme von Berlin-Wahrnehmungen, die auf konkreten ideologischen Gegensätzen beruhten, begriffen. Die beiden städtebaulichen Konzepte bilden eine Rahmung „geteilter Vergangenheit“.
Was in den bisher dazu verfassten Papieren und in den erschienenen Veröffentlichungen und Veranstaltungen keine Erwähnung fand: Noch immer ist das Verhältnis von Ost und West ein asymmetrisches mit auseinanderlaufenden Erfahrungsräumen. Was das für die Gegenwart bedeuten kann zeigt sich gerade besonders deutlich in der Verschiebung von Machtverhältnissen und Diskursen durch Rechtspopulist*innen diagnostiziert die Kulturwissenschaftlerin und Friednespreisträgerin Aleia Assmann. Sie stellt fernen fest: „. Aber das Hauptproblem, das wir haben, ist, dass wir, vereinfacht gesagt, in Ost und West zerfallen. Vielleicht hat auf dieser Ebene die Wiedervereinigung gar nicht stattgefunden. Das war mit Riten und Zeremonien staatlich verordnet worden. Ob die Gesellschaft da mitgemacht hat, wissen wir gar nicht. Im Moment geht es darum, die zwei Gruppen der Zivilgesellschaft und der Volksgemeinschaft zu vereinen. Auf welche Werte können wir uns eigentlich gemeinsam stützen? Da gibt es großen Dissens. Da sehe ich großen Nachholbedarf bezogen auf unsere Wiedervereinigung.“
Im gesellschaftlichen Diskurs festgeschrieben ist, dass der Westen sich nach der Wende nicht ändern und nicht dazu lernen musste. Der Westen blieb, wie er war und sollte dem Osten helfen auch so zu werden. Die Deutsche Vereinigung war politisch und rechtlich eine Erweiterung der alten Bundesrepublik. – Für den Osten hingegen war die Wiedervereinigung eine Schocktherapie. Der Osten wurde zum Versuchsfeld neoliberaler Politik. Für die im Osten Gebliebenen änderte sich durch den radikalen Strukturwandel von einem auf den anderen Tag fast alles. Eine gesellschaftliche Umwälzung bei der nahezu alle Lebensbereiche auf den Kopf gestellt wurden. Zahlreiche Entwicklungen haben eine größere Zahl von Menschen spürbar verstört.. Das Gefühl der Demütigung ist in einem großen Teil der Bevölkerung präsent.
Verschweigen und Schönreden hat in den letzten fast 30 Jahren nichts daran geändert. Es vergiftet unsere Gesellschaft. Es wurde keine Trauerarbeit geleistet, und die Menschen wurden selten mit in die Zukunft genommen. Die Niederlage des Staats wurde im Osten in individuellen Niederlagen umgewandelt.
Kränkungen vergisst man nicht, sie prägen weiter, wenn sie nicht bearbeitet werden. Und werden weitergegeben. Wir brauchen eine Aufarbeitung der Nachwendezeit in der Breite der Gesellschaft.
Die fehlende gesamtdeutsche Aufarbeitung der Verwerfungen und Verletzungen der Nachwendezeit werden im Städtebaulichen greifbar. Der französische Soziologe und Philosoph Maurice Halbwachs beschreibt, wie das kollektive Gedächtnis an Architektur und Raum gebunden ist und sich dadurch aus den begrenzten zeitlichen Horizonten lebendiger Geltungsdauer löst und für weitere Generationen greifbar macht.
Die Rahmung Hansaviertel/Karl-Marx-Allee bietet für unterschiedliche Generationen die Chance, einen Raum zu öffnen für spürbare Reibungen im sozialen Gedächtnis mit erheblichen Wirkungen für die Gegenwart und Zukunft zu. Bis heute fehlt Berlin ein Raum der eine dynamisches Austragung, lebendige Interaktion und Kommunikation zur Aufarbeitung der Wiedervereinigung/Wendezeit ermöglicht und diese institutionell sichert.
Es war ein großer Fehler, dass man sich 30 Jahre faktisch geweigert hat, dieses Konfliktfeld gesamtgesellschaftlich zu bearbeiten. Solange die schmerzhafte Asymmetrie des Erinnerns anhält, wirken Verwerfungen, Ungerechtigkeiten und Kränkungen in die Gesellschaft hinein. Eine Versöhnung – eine gemeinsame Zukunft, wird erst möglich wenn die Symmetrie die Erinnerung wieder hergestellt ist und beide Seiten ihre entgegengesetzten Perspektiven in einem gemeinsamen höheren Rahmen aufheben können.