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[lang_de]ARTIKEL[/lang_de] [lang_en]ARTICLES[/lang_en] / 2008

prekäre zeiten. bankleer interviewt von Petra Gerschner und Michael Backmund fantomas, Hamburg 2004

Interview mit der Künstlergruppe bankleer zum Projekt:
„RAUS AUS DER ARBEIT, REIN MIT DER REALITÄT!“

Was ist eigentlich im Stuttgarter Arbeitsamt passiert?

In der sogenannten Erstkontakt-Zone haben wir einen Raumteiler aus zwei Wänden aufgebaut und mit alten Büromöbeln aus dem Lager des Amtes gefüllt. Beim Gestalten der Außenwände haben wir die Farben und Maße der Umgebung aufgenommen, so dass sie erstmal nicht als Einbau zu erkennen waren. Man assoziierte eher einen weiteren Büroraum. Erst beim Vorbeigehen bemerkte man das fehlen der Rückwände. Die Rauminstallation war angefüllt mit den Möbeln eingesparter Arbeitsplätze, in denen drei Videomonitore, Transparente, Demoschilder und eine kleine Bibliothek untergebracht waren. Wir haben sozusagen eine Bürosimulation, die eine Menge an Gegeninformationen bereit hielt, direkt im Betriebsalltag des Amtes platziert. Unsere Idee war das Arbeitsamt mit einer realeren Situation zu konfrontieren. Es war für uns sehr überraschend, die Genehmigung für Aktionen im Gebäude zu bekommen.

Im Vorfeld dazu gab es mehrere Treffen mit diversen Arbeitloseninitiativen vor Ort und das Angebot, die Installation für eigene Aktionen zu nutzen. So hatten wir schließlich ein täglich wechselndes Programm mit Widerstands-Joga, Indoor-Demos der Arbeitsloseninitative Wut, einen Aktionstag der Frauengruppe Salz, einen Zombie-Schwarm und Polit-Hip-Hop Karaoke. In der Installation liefen ständig Filme – von Ak Kraak zur Argentinien Krise, „La Commune“von Peter Watkins, eine 1. Mai- Demo-Dokumentation, „Unsichtbare Hausarbeiterinnen“ vom FrauenLesbenFilmCollectif und die „24 Stunden sind kein Tag“ Soap von Réne Pollesch.

Welche Infos und Gegeninfos lagen aus?

Wir haben Mai-Flyer und Infos aus Berlin mitgebracht, einen selbstgemachten Aufruf zur 1. Mai-Demo in Stuttgart ausgelegt („Give brain a chance“) sowie Infomaterial zu den Filmen und Hintergrundinformationen zu den Protesten gegen Hartz IV. Außerdem war eine kleine Präsenzbibliothek mit Büchern zum Thema Arbeit, Ökonomiekritik und alternative Modelle in die Installation eingebaut.

Auf einigen Bildern raucht es? Was ist passiert?

Die Nebelmaschine war Teil der Installation. Von Zeit zu Zeit haben wir einen dichten Nebel in der ganzen Etage erzeugt – Nebel, der zwischen den ausrangierten Möbelstücken heraustritt und auf einen Ein/Ausgang des Verdrängten verweist.

Wie lief die Indoor-Demo und das Widerstands-Joga ab?

Während den Indoor-Demos, die von der Arbeitsloseninitiativen Wut und Salz veranstaltet wurden, ging es zu wie auf vielen Gegenveranstaltungen mit Flugblätter-Verteilen und Transparente-Entrollen. Dazu kamen Befragungen zur Hilfsbedürftigkeit. Der Teil mit Transparente-Entrollen und Sich-in-den-Weg-Stellen dauerte aber nicht lange, weil die Aktion während der Öffnungszeit stattgefunden hat und den Arbeitsamt-Alltag massiv gestört hat. Das Widerstands-Yoga war sozusagen unser Aufwärmtraining für die Woche. Es war sehr schwer, Leute zum Mitmachen zu gewinnen. Es ging darum, mittels Körperarbeit aufzuzeigen, welche Deformationen unser System an unseren Körpern hinterlässt und sich des Alleingelassenseins vom Staat bewusst zu werden, den aufkommenden Stress von sich weg zu halten, das Versagen nicht sich zuzzuschreiben und die hemmenden Anspannungen für ein Entgegentreten zu mobilisieren. Dazu wurden Bilder aus der indischen Yogalehre mit dem Umbau des Wohlfahrtsstaates kurz geschlossen: Deformationen aufzeigen, Deformationen lösen, Widerstand stärken.

Gab es Reaktionen von den Angestellten und was haben die „Statistik-Leichen“ gemacht?

Einige Angestellte waren schon während des Aufbaus sauer auf uns, weil wir ihre Routine störten und das erst richtig als alles fertig war. Es ging teilweise soweit, dass sich manche MitarbeiterInnen nach den offiziellen Besuchszeiten sofort einsperrten. Die „Kunden“ selbst haben sich sehr zögerlich mit der neuen Situation auseinandergesetzt und waren sehr zurückhaltend. Das hat uns sehr überrascht. Nach unseren Erfahrungen in Berlin hatten wir mit viel mehr Reaktionen gerechnet. Da spielt dann die Arbeitslosenrate von sechs Prozent gegenüber der offiziellen 19 Prozent in Berlin sicher eine Rolle. Hier ist es noch viel geläufiger, sich als Verlierer/in zu fühlen und nicht als Betroffene/r eines Nebeneffekts des Neoliberalismus. Und dementsprechend schwerer scheint es zu sein, kritisch mit der Situation umzugehen und sie zu hinterfragen. Es ist überraschend, wie oft man mit seinen Erwartungen daneben liegt – aber vielleicht wussten sie einfach auch nichts mit unserer Installation/Aktion anzufangen.

Wie ist die Aktion ausgegangen?

Die ganze Aktion war eine Art RealityCheck und für alle Seiten ein Experiment. Auf der Pressekonferenz zu diesem Projekt musste sich die gesamte Vorstandsetage die Kritik an ihrer Illusionsmaschine anhören.

Worin besteht eure Kritik an der „Illusionsmaschine“ Arbeitsamt?

Bei unserer Kritik geht es um die eine große Illusionsmaschine, die von Staat, der Ökonomie und den Medien am Laufen gehalten wird: Die Institution Arbeitsamt hängt da nur nach – die Illusion in Bezug auf Arbeitsreformen ist ein sehr eng geführter Diskurs, der immer noch an Vollbeschäftigung als Lösung festhält und die Krise auf dem Arbeitsmarkt nicht als Symptom der neoliberalen Gesellschaftsform wahrnehmen will. Es erstaunt uns immer wieder, wie es gelingen kann, diese einseitige Diskussion aufrechtzuerhalten und Themen wie Existenzgeld, Grundeinkommen, 4-Stunden-Tag und vieles mehr so komplett rauszuhalten. Spannend war allerdings, dass die ArbeitsamtmitarbeiterInnen ja selbst nicht mehr daran glauben, dass es in zehn bis 15 Jahren überhaupt noch Arbeitsämter gibt.

Und in Berlin?

In Berlin war überhaupt nicht daran zu denken, irgendeine Erlaubnis zu bekommen. So hat die Zombie-Attacke im Außenbereich des Arbeitsamtes in Lichtenberg stattgefunden und es hat ca. eine Stunde gedauert, bis wir den Ort verlassen mussten, weil die Polizei kam.

Könnt ihr kurz die Geschichte eurer künstlerischen Zusammenarbeit beschreiben?

Wir beide arbeiten seit den Innenstadtaktionen 1997 zusammen, wo wir mit befreundeten KünstlerInnen den selbstorganisierten Projektraum Sedan 20 unter dem Motto „gegen Ausgrenzung, Privatisierung und Sicherheitswahn“ in München organisiert haben. Es ging uns inhaltlich vor allem um den Gentrifikationprozess in den urbanen Zentren – das bedeutet den marktförmigen Umbau der Innenstädte.

1998 sind wir nach Berlin gezogen und produzieren seither Doku- Fictionale Filme, Performances und Installationen zu den Themen Medien-Kritik, Ökonomie und Arbeit.

Neben unserer gemeinsamen Arbeit als bankleer gab es immer wieder arbeitsintensive Kollaborationen mit anderen Gruppen. Mit hybridvideotracks z. B. haben wir 2 Jahre lang Ausstellungen, Filme und Diskussionsveranstaltungen zum Thema Videoaktivismus oder strukturelle Militarisierbarkeit der Medien erarbeitet.

Welche künstlerischen und politischen Diskurse sind für euch als Bezugspunkte wichtig – nach welchen Kriterien wählt ihr aus?

Wir gehen meist von unserer eigenen Situation aus und versuchen Phänomene zu beschreiben in die wir ersteinmal selbst verwickelt sind. In der Umsetzung versuchen wir zwischen politischem Aktivismus, politischer Theorie und politscher Kunst Kohärenzen herzustellen. Wir reagieren erstmal mit Aktionismus und Performances auf die Medien-Show in Politik und Ökonomie und machen unser eigenes Medienereignis daraus. Entstandenes Videomaterial fliest dann ein in performative Installationen also bühnenhaften Inszenierungen, die erst mit Hilfe eines aktiven Publikums vollständig werden.

In den 90er Jahre, dem Jahrzehnt der institutional critic, wurden Verwaltungen, Behörden und Institutionen von KünstlerInnen kritisch kommentiert – ihr habt euch dazu entschieden mit direkten Aktionen zu intervenieren. Unser Background sind genau diese 90er. Direkte Aktionen gehören zu unserer Praxis, weil wir damit verschiedene Ebenen wie Installation, Performance, Kunstinstitution und eben konkrete Politik miteinander verweben können. Von unseren offen und bühnenhaften Installationen ist es nur noch ein kurzes Stück zu den Erscheinungen des realen Leben. Den umgekehrten Weg zurück in die Kunstwelt gibt es dabei durch die Produktion von Installationen und Filmen genauso. Eingetaucht in medialisierte Arbeit und einem oft fictionalisierten Diskurs, ist es uns aber auch ein Bedürfnis, über dem Körper Erfahrungen zu machen und diese mit anderen Menschen zu teilen.

bankleer führt Interventionen durch – wo liegt für euch der Unterschied zur politischen Aktion?

Eigentlich ist eine Unterscheidung für uns irrelevant.

Welche Ansprüche, Forderungen und Wünsche stellt ihr hinsichtlich eurer künstlerischen Projekte an politische Bewegungen?

Es gibt eher Wünsche. Vor allem sollte das Bessere Leben den Weg in das Reale finden und sichtbar werden.

Bei euren Interventionen arbeitet ihr mit anderen Akteuren zusammen bzw. konfrontiert andere im öffentlichen Raum mit gesellschaftlichen Widersprüchen – wer sind eure Adressaten?

Das hängt ganz von der Situation ab. Wir wünschen uns immer viel unterschiedliches Publikum, aber wissen auch, dass meist die Personen kommen, die den Kontext selbst bilden. Im Kunstbereich Kulturschaffende und im Arbeitsamt Arbeitslose. Ein bisschen verändert es sich, wenn nach einer Aktion auch die beteiligten AktivistInnen und deren Zusammenhänge zu einer Ausstellung kommen. Unsere Erfahrungen sind in verschiedenen Städten sehr unterschiedlich.

Sollen eure Performances Auslöser für kollektive Prozesse sein – sollen sie Animationscharakter haben?

Das ist zu hoch gegriffen, aber wir hoffen, dass es uns gelingt, einen Raum zu öffnen, in dem das Wahrgenommene, die Empörung und die Solidarität lebendig gemacht werden können.

In Paris und Frankreich gab es letztes Jahr monatelange militante Streiks, Besetzungen und Demos der „Kulturschaffenden“ (Intermittents) für ein gesichertes Existenzgeld unabhängig von aktuellen Aufträgen – auf der großen Abschlussdemo vom Europäischen Sozialforum haben wir uns sehr über ihre Initiative gefreut, als sie zu Beginn der Demo mit ihren Transparenten die Promi-Reihe überholt haben und sich ungefragt an die Spitze gesetzt haben. Welche Erfahrungen habt ihr selbst als KünstlerInnen mit prekären Arbeitsverhältnissen gemacht? Welche Strategien des Überlebens habt ihr im Laufe der Jahre entwickelt?

Wir beide sind als Arbeitlose und prekär Beschäftigte direkt von der derzeitigen Krise betroffen. In Berlin haben wir immer größere Mühe, mit sinkenden Löhnen und Arbeitslosengeld bei gleichzeitigem Anziehen der Kosten wie Miete usw. unseren eigentlichen Berufen als Kunstschaffende nachzugehen. Gerade sind wir in der sehr glücklichen Situation mit Hilfe eines Stipendiums dieses Projekt bis Ende des Jahres beenden zu können. Unsere Zusammenarbeit als Künstlerpaar oder in größeren Zusammenhängen ist in der sich verschärfenden Situation durch den Abbau des Wohlfahrtsstaates ein großer Schutz. Sich in einer Art FamilienSubstitution aufzuhalten und mit einem sozialem Mini-Netz ausgestattet zu sein. Auch sind wir gerade auf der Suche nach geeigneten Arbeitsräumen für ein Klein-Kollektiv mit befreundeten MedienaktivistInnen und Polit-Leuten.

Und wie seht und bewertet ihr vor dem Hintergrund dieses Diskurses das ökonomische System Kunstmarkt?

Bis jetzt hat er es noch immer geschafft, sich auch die krassesten Kunstausläufer einzuverleiben und als vermarktbare Softversionen auf den Markt zu werfen. Noch mussten wir uns für kein Verhältnis zu ihm entscheiden.

Und welches Verhältnis hat der Kunstmarkt zu euren Projekten?

Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass Institutionen einen Vorteil aus der Vermittlung zwischen ökonomischen Kapital (über das sie selbst verfügen) und dem kulturellen Kapital (das es bei der radikaleren Fraktion im künstlerischen Feld zu erlangen sucht) ziehen. KünstlerInnen, deren echte Radikalität zugleich eine verlockende Chance für den Aufstieg auf der Karriereleiter bedeutet, werden von Institutionen und Konzernen instrumentalisiert, um ihrer neoliberalen Politik eine größere Legitimität zu verleihen. Für unsere Arbeit als KulturproduzentInnen ist es daher sehr wichtig, künstlerische Interventionen immer mit politischen Aktionen kurz zu schließen.

Warum ist es in der jetzigen gesellschaftlichen Situation für euch relevant, euch in euren Arbeiten mit Prekarisierung auseinanderzusetzen?

Niedrig entlohnte, befristete und unregulierte Arbeitsverhältnisse gab es schon immer. Was über Jahrzehnte hinweg Realität vor allem für Frauen und MigrantInnen sowie freiwilligen Aussteigern war, wird gerade für immer mehr Menschen Alltag. Nur ein Prozent unserer KollegInnen können von ihrer Kunst leben. Das heißt: Wir arbeiten per se unter prekären Verhältnissen. Unser prekäres Künstlerdasein wird derzeit als cool verkauft und auch dazu benutzt, unterbezahlte Tätigkeiten als neues Gesellschaftsmodell zu rechtfertigen. Im Zuge der allgemeinen Verbreitung neoliberalen Gedankenguts ist die Figur des „kreativen Individualisten“ zum Leitbild des postfordistischen Kapitalismus geworden. Charles Leadbeater, Journalist und Politikberater der New Labour Regierung lieferte dafür die im sogenannten „Green Paper“ skizzierte Politikrichtung: Ein im Auftrag der aktuellen englischen Regierung verfasstes Konzept, zur Erschließung von Talenten und Individuen, mit dem Ziel, Kreativität in wirtschaftliche Aktivität zu kanalisieren. Hartz folgt und beschreibt im 13. Kapitel der offiziellen Hartz-Papiere „die Profis der Nation“ – worunter auch KünstlerInnen subsummiert werden – von denen radikale und mutige Impulse sowie engagierte Solidarität erwartet werden (Jeder Arbeitslose ein Künstler!).

An welchen Projekten arbeitet ihr gerade?

Wir sind gerade im EndspurtStress für unsere Ausstellung „where work ends and mission begins“, filmen Montagsdemos, organisieren kleine Interventionen und kümmern uns um ein Buchprojekt zum Thema Ausweitung des Diskussionfeldes Erwerbsarbeit versus Tätigkeitsgesellschaft. Mit dem Katalog – den Texten und der visuellen Umsetzung – hoffen wir, eine kleine Verschiebung in die gegenwärtige Arbeitsmarktdiskussion einzubringen und arbeiten dafür mit AutorInnen zusammen, die mit ihren Texten unterschiedliche Blickwinkel quer zum eigentlichen Thema einnehmen.

Seit längerem setzt ihr euch intensiv mit den Produktions- und Arbeitsverhältnissen und speziell mit der Verwaltung der „Statistik-Leichen“ auseinander – wie kam es dazu?

Ausgangspunkt unserer Überlegungen war der Versuch, die gegenwärtige durchkapitalisierte Politik mit der Vorstellung einer Exzessiven, nicht funktionalen Grausamkeit als Merkmal des gegenwärtigen Leben zu verbinden. Der Zombie-Link soll sichtbar machen, daß die Gewalt den sozialen Bedingungen des globalen Kapitalismus innewohnt und die automatische Schaffung ausgeschlossener entbehrlicher Individuen (Obdachlos- Arbeitslos-Illegal) bedingt. Mit der Einführung des Zombies, als deplaziertes Element, das der gesellschaftlichen Wirklichkeit angehört aber eigentlich kein Teil davon ist, schimmert eine allgemeine gesellschaftliche Dimension durch, die als solche darauf hinweist, dass etwas nicht stimmt.

Vielen Dank für dieses Gespräch:
Petra Gerschner und Michael Backmund