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Texte / 2013

Herbstsalon, Eine sittenlose Ausstellung, Sophie Jung, art magazin, 2013

Mit einer fulminanten einwöchigen Ausstellung bringt die neue Intendantin Shermin Langhoff nicht nur das Gorki-Theater wieder zum Leben, sondern geht mit Kunst Deutschlands härteste Themen an.
Ein überdimensioniert langer Teppich der Künstlerin Nevin Aladag reicht von einem Obergeschoss des Palais am Festungsgraben weit auf den Vorplatz des Theaters.
Der Willkommensgruß, schon von der hauptstädtischen Prachtstraße Unter den Linden aus zu sehen, verwirrt, je mehr man sich ihm nähert, weist er doch einen unmöglichen Weg in die Vertikale. Das orientalische Muster des Läufers und die klassizistische Fassadengestaltung des Palais passen nicht richtig zueinander. Umgeben von Monumenten wie Karl Friedrich Schinkels Neuer Wache und Andreas Schlüters Zeughaus ist das Gebäudeensemble des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin mit dem Palais am Festungsgraben und dem historischen Konzerthaus der Sing-Akademie ein symbolischer Träger der deutschen Nationalgeschichte. Umso ironischer rütteln Luchezar Boyadjievs Fotografien von Reiterdenkmälern ohne Reiter und Dan Perjovschis in einem Flur dahergekritzeltes “Made in Germany with a little help from China” an den Insignien nationaler Repräsentation, folgt man einmal dem Parcours der Ausstellung ins Innere des Palais.
Der Berliner Herbstsalon ist eine einwöchige Kunstausstellung am Berliner Gorki-Theater. Shermin Langhoff hat die Leitung des Theaters übernommen. Als erste Intendantin türkischer Herkunft an einem deutschen Stadttheater leitet sie den neuen Spielplan mit einer einwöchigen Kunstausstellung ein und hinterfragt in dem geschichtssatten Areal des Hauses die Konstrukte von Identität und Nation. Die Kuratoren Cala Ilk, Erden Kosova und Antje Weitzel bespielen mit Werken von 30 internationalen Künstlern das Haus. In Anspielung auf den als “sittenlos” geschmähten ersten Berliner Herbstsalon von 1913, holen sie Abwegiges und Periphäres in die Ausstellung. Doch die künstlerische Avantgarde auszeichnen, wie es etwa 1913 mit Werken aus dem Expressionismus und Futurismus beabsichtigt war, möchten sie nicht. Entlang der Geschichte des Gebäudeensembles des Maxim Gorki Theaters rücken sie künstlerische Positionen hervor, die jenseits der offiziellen Repräsentation und Geschichtsschreibung liegen. Der Herbstsalon betrachtet die Konstrukte von Nation und Identität kritisch – inmitten des historischen Berlins.
Azin Feizabadi zieht mit der Installation Eqelab eine Parallele zwischen dem Palais, das nach der Märzrevolution 1848 Sitz der preußischen Nationalversammlung war, und dem Parlamentsgebäude der konstitutionellen Revolution 1906 in seinem Geburtsland Iran – im Westen längst ein vergessenes Ereignis. Drei überdimensionierte Köpfe des Künstlerduos bankleer, rufen wach, dass die gleichen Räumlichkeiten einst das preußische Finanzministerium beherbergten. Mit den Konterfeis von Angela Merkel, Mario Draghi und Dutty Boukman, dem Anführer des ersten Sklavenausfstandes 1791 in Haiti, beklagen sich die grauen Giganten über die Auswüchse des Kapitalismus. “Wie kann ich mit diesem Körper nur Teil der Wettbewerbsgesellschaft sein? Tagtäglich geht er mehr kaputt”, seufzt Angela Merkel als Täterin und Kritikerin zugleich.
Geopolitik und Kolonialismus sind Schlagwörter, auf die sich viele der ausgestellten Arbeiten beziehen. Judith Raum thematisiert die historische Allianz zwischen dem deutschen Kaiserreich und den Osmanen. Auf einer frei von der Decke hängenden Blechwand – wohl ein Symbol für die damals noch unerschlossene Ressource in Kleinasien – hat sie Korrespondenzen von preußischen Gesandten im Osmanischen Reich abgebildet. Die Rhetorik der Briefe aber schlägt von einem Jargon der Überlegenheit zusehends in einen kleinlauten Ton um, waren die Preußen einmal mit den Menschen und Realitäten vor Ort konfrontiert. Auch die phantastischen Collagen von Erinc Seymen endet in Ernüchterung. In der Serie aus historischen Druckgrafiken lässt der Künstler den Blick des Kolonialisten walten und zugleich dessen Imaginationen von einer unberührten Wildnis durch Zerstörung und Domestizierung zersetzen.
Es sind schwergewichtige Themen, die die vier Kuratoren rund um den Komplex von Nation und Identität anlegen. Viel, sehr viel möchten sie mit diesem Herbstsalon sagen. Unschönes und Missachtetes – Genozid, Homophobie, Nazismus oder Ausbeutung – holt die Intendantin Shermin Langhoff in dieser Ausstellung hervor und verspricht damit bereits, dass sie es ebenso auf die Bühne bringen wird.
“Face Me, I Face You” heißt die Performance der Künstlerin Otobong Nkanga in der Ausstellung. Sie lässt sich als Metapher für Shermin Langhoff zukünftige Rolle am Gorki Theater lesen: Drei Tänzer bedrängen zaghaft und aggresiv zugleich die Besucher mit schmalen Holzstöcken, verwehren ihnen die Passage und zwingen sie zu unmittelbaren Beobachtern und Mitfühlenden eines mühsamen Prozesses der Anpassung und Abgrenzung zu werden.

Das Künstlerduo bankleer porträtiert Angela Merkel: “Sleepy Hollows”, 2013, Performance und Installation (Courtesy the artist/Foto: Harry Schnitger)