Arbeiten / Lectures / Performances / 2018
workshop ojo al sancocho
Artikel aus Cartel Urbano von Júlia Farràs
Das Festival für Gemeinschafts- und Alternativfilm Ojo al Sancocho 2019 beschäftigt sich in einem Kunstworkshop mit ortsspezifischen Themen, wie zum Beispiel den unsichtbaren Grenzen innerhalb der Stadt. Performances, Videoinstallationen, Theaterstücke und Skulpturen sollen bei den Teilnehmer*innen die Saat der Kritik entfachen.
El Palo del Ahorcado im Viertel Potosí ist ein über 100 Jahre alter Eukalyptusbaum und das kulturelle, soziale und religiöse Symbol von Ciudad Bolívar. Wenn es möglich ist, pilgern an jedem Karfreitag Hunderte von Familien dorthin. Der Ort ist zum Epizentrum des Kampfes von Umweltgruppen in dieser Gegend der Stadt geworden und hat mittlerweile eine besondere Bedeutung für die ganze Nachbarschaft (Vielleicht interessiert Sie auch „Volksfußball: So rollt der Ball als Waffe der sozialen Transformation im Süden von Bogotá“). Zu diesem von Unsicherheit und unsichtbaren Grenzen geplagten Ort, kam der multidisziplinär arbeitende deutsche Künstler Christoph Leitner von dem Kunstduo BANKLEER (das zweite Mitglied heißt Karin Kasböck). Das deutsche Kollektiv ist eines der internationalen Gäste der neuesten Ausgabe von Ojo al Sancocho, dem Festival der Gemeinschaft und des alternativen Films, das seit 2007 einen sozialen Raum in Ciudad Bolívar zwischen dem 6. und 13. Oktober schafft.
BANKLEER, was auf Deutsch „leere Bank“ bedeutet, wurde 1999 als Reaktion auf die damaligen politischen und kulturellen Probleme im Land / in Berlin gegründet. Das Projekt hat sich von Anfang an dafür entschieden, eine facettenreiche Kunst ohne Barrieren zu schaffen: Poesie und Performance sind miteinander verknüpft, ebenso wie Schauspiel und Dokumentation. Durch diese Formate versucht BANKLEER bei den Betrachter*innen die verborgenen Emotionen anzusprechen, die jede*r in sich fühlt und oft davor Angst hat diese auszudrücken. „Wir arbeiten mit Kunst politisch, weil wir sie auf keine andere Weise verstehen. Zwischen den beiden Konzepten Kunst und Politik entsteht ein imaginärer Raum, der sich sehr gut verbindet“, erklärt Christoph. BANKLEER hat nicht nur Werke geschaffen, sondern auch mit verschiedenen Gruppen – Gruppen von Flüchtlingskindern und Studenten aus verschiedenen Zentren zusammengearbeitet, so dass sie durch Kunst ihre verborgenen Emotionen wahrnehmen, ausdrücken und eine klare und starke Botschaft an die Welt senden können.
Vor diesem Hintergrund gab BANKLEER einen partizipatorischen Kunstworkshop, in dem durch Videoinstallation, Performance und Skulptur ein vergängliches Werk geschaffen wurde, das die Teilnehmer*innen sowohl als Einzelpersonen als auch als Gemeinschaft mit der politischen und sozialen Situation konfrontierte. Die Arbeit bestand aus einer Skulptur, einem riesigen Würfel, in den die Menschen hineinschlüpften und ausdrücken konnten, was sie fühlten. Dieser Würfel wurde von einem Text begleitet, der von allen Teilnehmer*innen geschaffen wurde und das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit in Hinblick auf die Situation in der Nachbarschaft, die Stadt und das Land im Allgemeinen beschreibt. Diese Arbeit wurde während eines Festzugs durch den Palo del Ahorcado performt, die Idee war, eine Situation zu schaffen, in der jede*r Einzelne dem Gefühl der eigenen Hilflosigkeit Ausdruck verleihen kann. Die Absicht war, einen Samen kritischen Denkens in den Teilnehmer*innen zu säen und die Arbeit sozusagen der Samen für weitere Reflektionen ist. „Wir wollen die unsichtbaren Grenzen erfahrbar machen und festgelegte Regeln brechen“, sagt der deutsche Künstler.
Ojo al Sancocho schafft Jahr für Jahr einen sicheren und angenehmen Ort für die ganze Gemeinde – auch für kleine Kinder und ältere Menschen, die bei solchen Projekten für gewöhnlich ignoriert werden – genau das macht diese Initiative so einzigartig. Die Einladung nationaler und internationaler Gäste inspiriert uns mit neuen Erfahrungen und Werkzeugen, um weiterhin Kunst zu schaffen und vielleicht den Alltag von einer anderen Seite zu sehen. Der partizipative Kunst-Workshop von BANKLEER zum Beispiel regt uns an, die alltäglichen Aspekte wie die unsichtbaren Grenzen, die Emotionen der Nachbarn und die aktuelle Situation in der Nachbarschaft zu überdenken. Diese Aktivitäten ermuntern die Nachbarschaft, sich Räume anzueignen und sich künstlerisch und kulturell zu ermächtigen, so dass die Gemeinschaft für ein paar Tage ihr eigenen täglichen Lebens lüftet und eine Auszeit nimmt.
Für Christoph war diese Erfahrung wie eine Gefühlsbombe, die verlorengeglaubte Solidaritäten hervorbringt. „Ojo al Sancocho gibt Alles und das mit einer so guten Energie, um in einer äußerst schwierigen Situationen eine gewaltige Arbeit zu leisten und die schwierigsten Situationen in warme und unvergessliche Momente zu verwandeln“, sagt Christoph.
In diesem Jahr wollte Ojo al Sancocho zu den Wurzeln zurückkehren, zu den Anfängen, um lokal etwas für die Menschen in Ciudad Bolivar zu tun, für die das Fest ja geschaffen wurde – und das auch für die vielen kommenden Festivaljahre. Mehr als 7.500 Menschen haben das Sancocho-Festival dieses Mal besucht. Die Veranstalter*innen verabschieden sich ein weiteres Jahr in vollster Zufriedenheit, da viele der Teilnehmer*innen, die in diesen Tagen Workshops und Aktivitäten besucht haben bereits nachgefragt haben und auch nächstes Jahr wieder für das Festival hierher zurückkehren wollen.
ermöglicht durch das Goethe Institut
Text für die Performance von Andrea Castro