dear mr. hinkl
Performance, Videoletter, nGbK, Berlin 2014
Die nGbK hat als Würdigung des Lebenswerkes von Allan Sekula eine Ausstellung / Veranstaltungswochenende organisiert, mit einem Überblick seiner Filme, mit Gesprächen über seine Arbeiten und künstlerischen Bezugnahmen.
Wir haben uns mit einer Foto- Videoarbeit beteiligt, die Bezug nimmt auf Allan Sekulas fotodokumentierte Aktion „ Dear Bill Gates“, für die er so nah wie möglich am Traumhaus des Microsoft-Gründers vorbei schwimmt, den Aktionsfotos einen Brief beilegt und eine Version davon an Bill Gates schickt.
Unsere Interpretation führt uns an den ehemaligen Todesstreifen an der Spree, wo für einen Luxuswohnturm das historische Denkmal zerstört und Mauerstücke der „East Side Galerie“ entfernt wurden. Das 63 Meter hohe und vierzehnstöckige Großinvestorenprojekt Living Levels von Maik Uwe Hinkel wird gegen den Bürgerentscheid gebaut. Dieser fordert einen 50 Meter breiten Uferweg und höchstens 22 Meter hohe Häuser ein. Wir schwimmen vom anderen Ufer aus so nah wie möglich an die Living Levels. Die Wasserpolizei, die kreuzenden Touristendampfer und ein toter Aal halten uns jedoch davon ab den Fluss zu durchschwimmen. Enstanden ist ein videoletter an den Investor.
Working with Allan Sekula wurde organisiert von Jochen Becker, Elke Falat, Branka Pavlovic, Renate Wöhrer und Florian Wüst.
Musik: Stefan Langfeld
Stimme: Lina Krüger
Guten Tag Maik Uwe Hinkel! Berlin 16.08.2014
Mit den Living Levels entsteht gerade eines “der spannendsten und spektakulärsten Immobilien unserer Zeit. Eine völlig neue Dimension des Lebens und Wohnens: kompromisslos, souverän, einzigartig.” Damit haben sie als Investor nicht unrecht.
Mit dem Bauprojekt direkt an der Spree nehmen die globalen Finanzströme und Kräfte deutlich Form an und präsentieren sich auf der Hauptstadt-Bühne inmitten eines stadtpolitisch umkämpften Raumes. Vom Ufer aus in die gelbbraune Brühe blickend, spiegelt sich ein erstaunlich sinnloses Unternehmen: Die unsichtbare Hand des Marktes hat uns neben der verdreckten Spree ein 13stöckiges Denkmal hingestellt. Ein Symbol hat sich Platz geschaffen, das weithin sichtbar ist und uns täglich vor Augen führt, wie das Recht auf Privateigentum und Profitrate alle anderen Rechtsvorstellungen und demokratischen Prozesse übertrumpft (Bürgerentscheid).
Ihre Bebauung ist ein beispielhafter Schauplatz für anderswo unübersichtliche und unsichtbare Bewegungen des Geldes, Kapitalströme und ökonomischer Vernunft.
Eine 13stöckige Manifestation für “das Versprechen” zur Realisierung desjenigen Betrags, der ihm zu seiner Finanzierung fehlt – derzeit in Höhe von 32,5 Millionen. Es wird uns die Utopie eines alles umfassenden und alles ausgleichenden Marktes präsentiert. In der Durchsetzung ökonomischer Rationalität werden die Eigeninteressen und damit der Kern aller Begierden sichtbar.
Wenn wir uns vom trüben Wasser vorbei an ihrer Immobilie treiben lassen, sehen wir was dieses Gebäude wirklich ist: ein Effekt der weltweiten Kreditzirkulation, der dieses Unternehmen erst ermöglicht. Für dessen Logik wird der öffentliche Raum selbst in die Dynamiken der Globalen Finanzströme eingebettet. Die Symptome dieser Reterritorialisierung des öffentlichen Raumes durch die Finanzströme sind Fragmentierung, Privatisierung und Überwachung. Eine effektive Fiktion der Finanzökonomie hat wieder einmal die räumliche Umgestaltung unserer Lebenswelt übernommen. Living Levels ist durch Schulden finanziert und dadurch Teil der Absorption des Kapitalüberschusses, der den Krisenländern fehlt.
Mit ihrem Investitionsprojekt gießen sie Ausbeutung, Armut und das Leid vieler Menschen in Griechenland, Argentinien, Portugal und vielen anderen Ländern in einen Betonquader. Krise heißt Urbanisierung! Der Kapitalüberschuss wird schon immer zu einem großen Teil für den urbanen Prozess verwendet und geht mit einem Ensemble heftiger Eingriffe einher. Dabei ist unsere gesellschaftliche/demokratische Kontrolle weitgehend wirkungslos. Zumindest ermöglicht der Blick auf ihr Hochhaus eine Reflexion über die ökonomische Einrichtung der Welt und darüber, wie soziale Ordnung und gesellschaftliche Bande kompromisslos an den Mechanismen der Marktwirtschaft ausgerichtet werden.
Ihre Fiktion ist nicht unsere, ihr Erwartungshorizont euphorisiert uns nicht, sondern macht uns zornig! Dieses Geschäftsmodell erodiert die Stadt als lebenswertes Gemeingut.
Unser Wunsch ist ein gescheitertes, besetztes Investorenprojekt. – Ein Ort, der nicht von Investoren, Bauunternehmern und der Tourismusbranche in Beschlag genommen wird.
Living Levels sollte Gemeingut sein und allen offen stehen!
Ein Symbol für informelle, klassenlose und gemeinschaftliche Orte der gesellschaftlichen Teilhabe – mitten in Berlin!